Junior oder Senior: Die Erfahrung macht den Unterschied
Auswertung der Umfrage "Junior vs. Senior – wann hat man sich seine Sporen verdient?"
„Wann hat man sich seine Sporen verdient?“ Das wollten wir von den Lesern der Knowledge Base wissen. Die Resonanz auf die Umfrage zeigt, dass das Thema der Unterscheidung zwischen Junior und Senior recht kontrovers diskutiert ist. 422 Knowledge Base Leser nahmen an der Umfrage teil, einige meldeten sich zudem per Leserkommentar zu Wort. Bereits dort wurde klar: So deutlich lässt sich die Grenze nicht ziehen und auch die Sinnhaftigkeit der Abgrenzung wurde in Frage gestellt. Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass die Unterscheidung durchaus ihre Berechtigung hat, aber zu ganz bestimmten Regeln.
Was bedeutet es eigentlich, einen Junior- oder Senior-Titel in der Jobbeschreibung stehen zu haben? Hier ein paar der Kriterien, die die Umfrageteilnehmer zur Unterscheidung aufführten:
- Senior-Experten verfügen über viel und breite Erfahrung, übernehmen mehr Verantwortung, arbeiten selbstständig, treiben Themen voran und bringen eigene Vorstellungen ein. Zudem lernen sie andere an.
- Junior-Experten besitzen bereits erstes technisches Know-how, haben jedoch wenig bis keine Projekterfahrung. Sie sind meist „nur“ operativ tätig und arbeiten nach Vorgaben zu. In einigen Bereichen müssen sie noch angelernt werden.
Den ersten Kommentaren in der GULP Knowledge Base zufolge hätte die Antwort lauten müssen: nein. Doch die Umfrage-Ergebnisse zeichnen ein anderes Bild: 67,65 Prozent finden eine Abgrenzung von Junior und Senior bei Projektausschreibungen durchaus für sinnvoll. Als Gründe nennen sie unter anderem, dass damit Erwartungen klarer kommuniziert werden können. Die Freelancer haben so die Sicherheit zu wissen, welche Anforderungen für ein Projekt gelten. Ist jemand gesucht, der federführend und verantwortlich für ein Projekt zuständig ist oder doch jemand, der im Projekt operativ mitarbeitet, aber relativ wenig Verantwortung hat? Auch die klarere Ausgangslage für Stundensatzverhandlungen ist ein weiteres Argument für die Unterscheidung.
Doch ab wann gilt man nun als Junior oder Senior? Den Personenkreis, der eine Unterscheidung als sinnvoll erachtete, fragten wir nach einer konkreten Einschätzung anhand der Berufspraxis. Den Ergebnissen zufolge gilt man bis zu einer Berufspraxis von 5,7 Jahren als Junior, während sich Experten ab durchschnittlich 7,6 Jahren Berufspraxis Senior nennen dürfen.
Doch trifft diese Definition auch auf die Umfrageteilnehmer selbst zu? Wir baten um eine Selbsteinschätzung und interessierten uns auch dafür, ob es einen Zusammenhang mit dem Alter, der Berufserfahrung oder der Dauer der Selbstständigkeit gibt. Die meisten der befragten Freelancer (86 Prozent) würden den Titel Senior wählen. Nur 2,61 Prozent bezeichnen sich als Junior und 10,66 Prozent wissen es nicht oder machen es von Projekt zu Projekt unterschiedlich.
Doch welches Kriterium ist am ausschlaggebendsten unter den Umfrageteilnehmer in Sachen Junior-Senior-Einteilung? Das Alter? Die Berufserfahrung allgemein? Die Dauer der Freiberuflichkeit?
Wir haben die einzelnen Kriterien den Antworten zur Klassifizierung gegenübergestellt:
Ein deutlicher Unterschied der Anteile von Junior und Senior ist bei den Kriterien Alter und Berufspraxis zu sehen. Hier finden sich in den jeweils linkeren Kategorien (jünger bzw. mit weniger Berufspraxis) anteilsmäßig mehr Junioren als in den anderen. Anders sieht es beim Thema „Dauer der Freiberuflichkeit“ aus. Selbst unter den noch relativ frisch gebackenen Freelancern, die zwischen 0 und 4 Jahre im Geschäft sind, geben über drei Viertel (79,0 Prozent) an, sich schon als Senior zu bezeichnen. Eine Erklärung liefert der Blick auf die Durchschnittszahlen: Im Schnitt beträgt die Differenz zwischen Berufspraxis und Dauer der Selbstständigkeit 8 Jahre. Oder andersherum ausgedrückt: Die Umfrageteilnehmer machten sich durchschnittlich nach 8 Jahren in der Branche selbstständig. Eine Zeitspanne, in der viele nach eigener Einschätzung bereits zu einem Senior-Experten gereift sind, unabhängig davon ob nun festangestellt oder selbstständig.
Interessant sind auch die Durchschnittswerte der Berufspraxis der Umfrageteilnehmer und welchen Titel sie für sich beanspruchen. So verfügen die Junioren unter den Befragten über durchschnittlich 2,5 Jahre Berufspraxis.Die Senioren können im Schnitt 20,7 Jahre Berufserfahrung aufweisen und die noch unschlüssigen 16,6 Jahre. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen der Selbsteinschätzung und der oben erwähnten allgemeinen Klassifizierung (Junior bis 5,7 Jahre Berufspraxis, Senior ab 7,6 Jahre Berufspraxis). Das kann auch an der Altersverteilung der Befragten liegen: 23,2 Prozent waren zwischen 30 und 39 Jahre, 38,9 Prozent zwischen 40 und 49 Jahre und 27,3 Prozent zwischen 50 und 59 Jahre.
Die Differenz zwischen Fremd- und Selbsteinschätzung zeigt sehr genau einen der wichtigsten Kritikpunkte derjenigen, die sich gegen eine Unterscheidung zwischen Junior und Senior aussprachen. Das war immerhin ein Drittel (32,35 Prozent) der Befragten. Die Einteilung sei nicht zentral geregelt, variiere von Unternehmen zu Unternehmen und sei vor allem auch sehr subjektiv. Und auch, wenn die Berufspraxis bzw. Erfahrung in der Branche noch eine der verlässlichsten Kriterien ist: In einer Branche, in der sich Technologien so rasant weiterentwickeln wie in IT und Engineering, sei es schwierig einen fixen Zeitraum zu benennen, ab wann jemand als Senior gilt. Hinzukommt, dass nicht immer die reine Zahl der Berufsjahre einen guten Freelancer mit dem notwendigen Rüstzeug für komplexe Projekte ausstattet. Vielmehr seien es laut Umfrageteilnehmer oft gute Referenzen oder die richtigen Persönlichkeitsmerkmale wie Durchsetzungskraft und Ehrgeiz, die einen guten „Senior“ ausmachen.
In der Diskussion rund um unsere Umfrage zeigt sich zudem, dass eigentlich eine weitere Abstufung zwischen Junior und Senior fehlt: Ein Hinweis ist etwa der relativ hohe Anteil derer, die bei der Selbsteinschätzung die Antwortoption „mal so, mal so / weiß nicht“ angaben (10,7 Prozent). Auch die Lücke beim Kriterium Berufspraxis (Junior bis 5,7 Jahre, Senior ab 7,6 Jahre) ist ein Hinweis auf eine fehlende Kategorie.
Sowohl die Pro- als auch die Contra-Seite sind sich jedoch einig, dass sich die Angabe des Titels Junior oder Senior auf den verhandelten Stundensatz auswirkt. 78,6 Prozent sind sich dabei sicher. Während die Befürworter vor allem die Bezeichnung Senior als gutes Argumentationsmittel für mehr Stundensatz anbringen, stellen die anderen eine Gegenthese auf: Oftmals sei eine gesuchte Junior-Projektposition nur so ausgeschrieben, um den Stundensatz nach unten zu drücken, nicht etwa wegen der niedrigeren Anforderungen an Know-how und Erfahrung.
Und so betrachtet, findet sich vielleicht auch eine Lösung in der Diskussion, ob die Unterscheidung zwischen Junior und Senior nun sinnvoll ist: Der Zusatz Senior ist ein gutes Mittel, um seine Expertise zu untermauern und dementsprechend bei den Stundensatzverhandlungen punkten zu können. Dass das vielleicht schon gelebte Realität ist, zeigen die Umfrageergebnisse und der hohe Anteil der „Senioren“.
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