Denkende Fabriken und künstliche Intelligenz in der Industrie 4.0
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Künstliche Intelligenz (Teil 1) – Chancen und Risiken

11.08.2020
Susann Klossek - freie Journalistin und Autorin
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Künstliche Intelligenz hat in der Schweiz bereits in vielen Bereichen Einzug gehalten. Doch sie kommt längst noch nicht ausreichend zum Einsatz.

Die Praxisbeispiele, in denen heute Künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt wird, sind unendlich: Sie reichen von der Mobilität (Fahrerassistenzsysteme, Verkehrsüberwachung und -leitsysteme), über Sprach-, Text-, Gesichts- und Bilderkennung, Handschriften Lesen, Computerspielen, Data Mining, algorithmischem Journalismus oder maschinellem Lernen bis hin zur medizinischen Diagnostik. Das Statista Research Department prognostiziert die weltweiten Umsätze mit Unternehmensanwendungen im Bereich künstliche Intelligenz für das Jahr 2020 auf rund 4,8 Milliarden US-Dollar.

In der Schweiz forschen sämtliche Universitäten und Forschungsinstitute auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. KI-Projekte gibt es von der ETH Zürich über der EPF Lausanne, der Universität St. Gallen und vielen mehr. Auch Tech-Grössen wie Google, IBM und Microsoft betreiben von Helvetien aus KI-Forschung. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl weist die Schweiz sogar weltweit die höchste Anzahl an KI-Patenten auf. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Eine Bestandsaufnahme.

Vorreiter USA, China und UK

Die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) hat zwei Kurzstudien zu Künstlicher Intelligenz (KI) in Industrie und im Dienstleistungssektor sowie in Wissenschaft und Forschung verfasst. Während KI in digitalen Produkten bereits grossflächig angewandt wird und auch experimentell recht vielfältig zum Einsatz kommt, steht deren Anwendung laut Studie in Industrie 4.0 und im Dienstleistungssektor noch eher am Anfang. Zwar investieren einige Firmen mittlerweile in KI, um erste Erfahrungen zu machen, die meisten Vorhaben befinden sich jedoch in der Pilotphase.

Hinsichtlich des Anwendungsgrades von KI im Vergleich zum Ausland sind sich die Experten nicht immer einig. Einer weltweiten Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung mit der «Camian KI Index»-Methode zufolge liegen die USA, China, Grossbritannien, Frankreich, Finnland und Südkorea an der Spitze was die Forschung und staatliche Förderung von KI betrifft. Weltweit führend in KI sind die USA aufgrund etablierter Kooperationsstrukturen zwischen Regierung, Privatsektor und Hochschulen: Der Staat legt den Förderschwerpunkt auf die Grundlagenforschung, die Privatwirtschaft auf die Anwendungsforschung.

China, auf Platz zwei, will auf- und überholen und bis 2030 weltweit führend auf dem Gebiet künstlicher Intelligenz werden. Dafür pumpt das Reich der Mitte massiv Geld in die KI-Grundlagenforschung. Allerdings überwiegen die Bestrebungen, die Förderung zu zentralisieren und den Einsatz von KI komplett seitens der Regierung zu kontrollieren. China ist auch “Überwachungsweltmeister” mittels KI, was das Riesenreich auch im Zuge der Coronakrise erneut unter Beweis gestellt hat. Einzig die momentan schwächelnde Wirtschaftslage könnte Chinas hehre KI-Pläne ein wenig dämpfen.

Anders geht die UK an die Sache heran und fördert KI auf Basis einer Vereinbarung zwischen Privatsektor und Regierung. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Alan Turing Institut – das britische nationale Institut für Datenwissenschaft und künstliche Intelligenz. Diese hat den Fokus auf Forschung sowie Instrumenten zur Kommerzialisierung geistigen Eigentums von Universitäten. Auch ethische Aspekte werden durch ein dafür gegründetes Zentrum und eine geplante internationale Konferenz zur Entwicklung von KI-Governance- Standards gefördert. 

Hinsichtlich Kommerzialisierung künstlicher Intelligenz wiederum hat Südkorea eindeutig global die Nase vorn. Die Schweiz dürfte, betrachtet man neben der Forschung alle Parameter von der Förderung bis hin zur Akzeptanz von KI, eher im Mittelfeld sein. An der Spitze steht sie beim «Small Business Research and Development Enhancement Act». Dieser fördert die wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Kleinunternehmen und erlaubt Zuschüsse für den Technologietransfer kleiner Unternehmen. Daraus resultiert eine Professionalisierung der Akteure und eine starke Verflechtung von Universitäten und Industrien.

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Schweizer Industrie erst am Anfang

Schweizer KI-Lösungen zur Qualitätskontrolle werden heute bereits von vielen produzierenden Unternehmen im In- und Ausland nachgefragt. Dank Digitalisierung lässt sich der gesamte Fabrikationsprozess erfassen und überwachen. Bei der Auswertung der dabei anfallenden Datenmengen ist KI praktisch unabdingbar. Eine erfolgreiche Implementierung von KI-Lösungen in Industrie 4.0-Anwendungen setzt allerdings viel fachspezifisches Wissen voraus. Woran es aktuell noch mangelt. Es ist zu vermuten, dass aus diesem Grunde fertigende Industrie für IT-Riesen wie Google bisher auch wenig interessant sind, so die SATW-Studie. Schweizer IT-Dienstleister könnten sich hier mit Innovationen gut positionieren. 

Ein weiteres Problem ist, dass Schweizer Firmen KI bisher fast aussschliesslich in Bereichen einsetzen, in denen sich Kosten reduzieren lassen. Dazu zählen beispielsweise Assistenzsysteme, die grossflächige Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) oder die Automatisierung von Fertigungs- und Wertschöpfungsketten. Dieser Ansatz greife aber, so die Studienautoren, zu kurz. Stattdessen sollten Kundenerfahrung und -orientierung im Fokus stehen. Erreicht werden könnte dies mittels höherer Servicequalität durch digitale, automatisierte und personalisierte Kundeninteraktionen, datenbasierte Entscheidungsunterstützung und auf den Kunden zugeschnittene Angebote und Services.

Herausforderungen beim Einsatz von KI

Die Herausforderungen von KI-Systemen für Unternehmen lassen sich in fünf Risikogruppen einteilen: Gesellschaftliche, wirtschaftliche, sowie Sicherheits-, Kontroll- und Erfolgsrisiken. Laut den Studienautoren stehen firmeninterne Herausforderungen im Vordergrund. Allen voran betrifft dies Anwendungsfragen und die Weiterentwicklung von KI, den Bedarf an KI-Fachkräften, respektive dessen limitierte Verfügbarkeit und die Datenschutzpolitik. Die für die Studie herangezogenen Experten empfehlen, Kompetenzen nicht allzu spezifisch zu fördern und auch nicht einfach zu verlagern, sowie die Schaffung höherer Kapazitäten an Hochschulen mit interdisziplinären Forschungsschwerpunkten. 

Gesellschaftliche Risiken:

  • Reskilling

  • Akzeptanz / Vertrauen

  • Verständnis / Wissen

  • Fairness

  • Datenethik

  • Trustworthy AI

  • Werteverlust


Wirtschaftliche Risiken:

  • Fachkräfte

  • Verlust Kompetenz und Fähigkeit

  • Monopolisierung / Winner-takes-all

  • Wertbringende Anwendungsfelder

  • Investitionen

  • Überregulierung

  • Haftung


Kontrollrisiken:

  • Komplexität

  • Abhängigkeiten (Scheinkorrelationen)


Erfolgsrisiken:

  • Datenverfügbarkeit

  • Systemanfälligkeit

  • Erklärbarkeit / Transparenz

  • Modelle up-to-date halten


​​​​​​​Sicherheitsrisiken:

  • Datenschutz

  • Cyber-Risiken
     

Quelle: SATW, Okt. 2019

Was die gesellschaftliche Akzeptanz und den Umgang mit den neuen Technologien betrifft, sei vor allem der Unterschied zwischen «starker KI» und «schwacher KI» zu wenig bekannt. Eine starke KI handelt wie Menschen situationsbezogen  und verfolgt eigene Ziele. Schwache KI löst spezielle Anwendungsprobleme, die Algorithmen sind jedoch für andere Anwendungen unbrauchbar. Zudem birgt der Einsatz von KI die Gefahr, dass Menschen verlernen in komplexen Situationen richtige Entscheidungen zu treffen oder durch KI generierte Entscheidungen nicht mehr verstehen oder hinterfragen. Der Verlust von Expertise und Erfahrungswissen schwäche Unternehmen nachhaltig. Und auch die Datenqualität und die derzeit verfügbaren Datenverwaltungssysteme in Unternehmen lassen derzeit noch zu wünschen übrig, da sie aktuell kaum dafür ausgelegt sind, eine Datenbasis für KI-Systeme zu liefern.

Laufende Aktivitäten in der Schweiz

Mit dem «Innosuisse-Impulsprogramm Fertigungstechnologie» und den in Planung befindlichen «Advanced Manufacturing Technologie Transfer Zentren AM TTC» wurden zwei Aktivitäten für die Industrie lanciert. Auch wenn KI hierbei nicht im Fokus steht, so ist sie zumindest Teil von Unterprojekten. 

Die «Motion 17.3067» von Nationalrat Marcel Dobler kümmert sich um den Fachkräftemangel und will Voraussetzungen schaffen, dass Fachkräfte aus Drittstaaten, die in der Schweiz ihren Master oder Doktor erworben haben, einfacher in der Schweiz beschäftigt werden können. 

Expertengruppen wie «Data Ethics» erarbeiten einen Codex, der das Vertrauen in KI verstärken soll. Die SGAICO (Swiss Group of Artificial Intelligence and Cognitive Science) – eine Fachgruppe der Schweizer Informatik Gesellschaft SI – ist für den Austausch zwischen Forschenden und Anwendern im Bereich KI verantwortlich. 

Die Initiative «SwissCognitive», der Unternehmen aus Industrie und Dienstleistung angehören, widmet sich ausschliesslich dem Thema KI und fungiert als Austausch- und Netzwerkplattform. Die «Swiss Smart Factory SSF» schliesslich greift Fragestellungen rund um Industrie 4.0 auf – ein Forschungsschwerpunkt widmet sich dabei den Themen KI und Smart Date. 

Auch der Bund sieht Handlungsbedarf

Ein vom Bundesrat in Auftrag gegebener und im Dezember 2019 zur Kenntnis genommener Bericht der Interdepartementalen Arbeitsgruppe Künstliche Intelligenz brachte zutage, dass die Schweiz zwar für die Anwendung und die Herausforderungen von künstlicher Intelligenz grundsätzlich gut aufgestellt ist, in vielen Bereichen aber noch Handlungsbedarf besteht. 

So sei zwar der allgemeine Rechtsrahmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt grundsätzlich geeignet und ausreichend, mit den neuen Herausforderungen, die KI mit sich bringt, umzugehen. Das betrifft beispielsweise Fragen der Nachvollziehbarkeit möglicher Diskriminierungen oder Haftungsfragen von autonom agierenden KI-Systemen. Grosser Klärungs- und Anpassungsbedarf bestehe hingegen in verschiedenen Politikbereichen, beispielsweise beim Einsatz von KI in Mobilität, Sicherheitspolitik oder in Bildung und Forschung. Im Bereich Völkerrecht sowie hinsichtlich Nutzung von Künstlicher Intelligenz im Bereich der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung hat der Bund nun Prüfaufträge verteilt. 

Fazit

Künstliche Intelligenz kann in unermesslich vielen Bereichen das Leben erleichtern, Kosten sparen, die Produktion ankurbeln, die Sicherheit verstärken und nachhaltig zum Erfolg eines Unternehmens und der ganzen Wirtschaft eines Landes beitragen. Sie kann aber auch – Stichwort Überwachung – missbraucht werden. Viele Herausforderungen, die KI mit sich bringt, sind durch die Wirtschaft selbst zu bewältigen. Darüber hinaus ist auch der Bund gefragt Rahmenbedingungen für eine Digitale Schweiz, die KI einschliesst, zu schaffen. Die grössten Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, betreffen die Weiterentwicklung von KI-Systemen sowie Datenverfügbarkeit und damit verbundene Themen wie Datenschutz und Datenhoheit. Auch die Erklärbarkeit und Zugänglichkeit von KI müssen verbessert werden. Durch gezielten Wissenstransfer und Kompetenzaufbau bezüglich KI lässt sich auch das Vertrauen in die Technologien stärken und den Fachkräftemangel abschwächen.

Lesen Sie dann im zweiten Teil unserer KI-Reihe (KI in der Praxis – Luft nach oben) was die Verantwortlichen in Schweizer Unternehmen von KI halten und woran es ihnen noch mangelt.

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Wie sehen die Bedingungen für Freelancer aus? Welche Kompetenzen sind besonders gefragt und wer bestimmt das Pricing – Freelancer oder Auftraggeber?  An der Studie nahmen insgesamt 440 IT- und Engineering-Freelancer teil. 

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  • Projektbedigungen und Preispolitik

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